Interview vom 31.10.2023
Liebe Nick,
zunächst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst.
Es freut mich wirklich sehr.
Du hast ja schon in zahlreichen Hauptrollen auf der Bühne gestanden und aktuell dürfen wir dich unter
anderem als Hedwig erleben.
Was ist das Besondere an dieser Rolle und welche Herausforderungen hält sie für dich persönlich bereit?
"Ich glaube, die offensichtliche Herausforderung ist erstmal ganz oberflächlich die enorme
Menge an Text und Musik. Ich singe und spiele quasi 1 1/2 h alleine durch und habe nur ab und zu ein bisschen Textaustausch mit Yitzhak.
Dadurch, dass es keine Pause für mich gibt, ist das erstmal ein ganz schöner Kraftakt. Aber ich jongliere gerne mit Texten, weshalb es mir extrem Spaß macht, mit ihnen zu spielen. Die zweite große Herausforderung ist der emotionale Aspekt. HEDWIG ist für mich eine extreme Emotionsreise. Ich durchlebe quasi alle Gefühle, die man fühlen kann an einem Abend. Die Figur Hedwig ist so voll mit Schmerz, Leid und Zynismus, dass es gar nicht anders geht, als sich emotional komplett darauf einzulassen und hineinzuschmeissen, damit es ehrlich und glaubhaft wird. Und das macht mir sehr viel Freude."
Wie ist es für dich als Darstellerin, dieses intensive und anspruchsvolle Zwei-Personen-Stück zu spielen und eigentlich von der ersten bis zur letzten Minute im Rampenlicht zu stehen?
"Mir macht das sehr viel Spaß. Ich liebe es, und das ist glaube ich ein großes Talent von mir, mit dem Publikum zu interagieren. Das mache ich gerne auch bei meinen Konzerten, die Leute kommen und ich beziehe sie mit ein. Es muss niemand auf die Bühne, aber wir erschaffen einen Abend zusammen, dann möchte ich die Zuschauer*innen auch gerne wahr- und mitnehmen. Bei HEDWIG ist das Publikum ja quasi Teil des Stücks, es ist nicht nur Zuschauer*in eines Musicals sondern auch Publikum eines fiktiven Konzertes. Ich spiele viel im Zuschauerraum, beziehe die Leute mit ein, reagiere immer auf den jeweiligen Ort, an dem wir spielen und die dortigen Gegebenheiten. Das ist für mich und für die Leute etwas ganz Besonderes."
Warum sollte man sich "Hedwig and the angry Inch" auf keinen Fall entgehen lassen?
"Ich glaube, selbst wenn man erstmal mit Trans*, Drag und Gender nichts zu tun hat, erzählt HEDWIG eine Geschichte, die uns alle irgendwie betrifft. Es geht um Liebe, wie finde ich meine große Liebe, es geht um Verlust, großen Schmerz, Identität, wer bin ich und um den Weg zu sich selbst zu finden und ob wir überhaupt jemals zu uns selbst zurückfinden können, wenn wir uns scheinbar verloren haben. Unabhängig von Gender, Identität, sexueller Orientierung und Herkunft kann jeder etwas von HEDWIG mitnehmen und sich ein bisschen vielleicht auch selbst erkennen. Und natürlich die Musik: wir bewegen uns zwischen Punk-Rock, Country, Glam-Rock und Grunge. Das ist eine Bandbreite, die man selten in einem Musical bekommt."
Was wünscht du dir beruflich für die Zukunft? Gibt es ein Stück oder eine bestimmte Rolle auf deiner "Bucket List"?
"Ich wünsche mir sehr, dass die deutschsprachigen Musicalbühnen sich endlich mehr trauen, als sie es jetzt tun. Das Musical ist immer noch ein in Schubladen sortiertes System, das wenig Spielraum für Wagnisse, Risikos und Verwirklichung zulässt. Wenn wir rüber ans West End oder an den Broadway schauen, sehen wir, dass Trans*Menschen die Möglichkeit bekommen,
die Rollen zu spielen, die auch ihrer Identität entsprechen. Ja, man muss dann vielleicht ein bisschen Musik transponieren, aber die Arbeit macht man sich auch, wenn der ein oder
andere Star die original Partitur nicht abdecken kann, da geht es ja auch. Wir sind da, wir sind nicht unsichtbar, im Musicalbusiness allerdings schon. Es wird uns nichtmal die Chance gegeben uns zu beweisen. Das ist etwas für das ich kämpfen will, was für mich eine extrem wichtige Entwicklung sein muss! Gerade in Zeiten wie diesen, mit diesem politischen Wandel,
Theater sind dafür da Zeichen zu setzen.
Es gibt eine Rolle, die ich unbedingt spielen möchte: Mrs. Danvers in REBECCA."